Mittwoch, 29. Oktober 2008

FDP-Anhänger Verstaatlichungen nicht abgeneigt

In Folge des Vorhabens von Sarkozy, Schlüsselindustrien zu verstaatlichen bzw. den Staat mit einem Anteil zu beteiligen, führte das Magazin „Der Stern“ eine Umfrage in Deutschland durch – mit mehr als überraschenden Ergebnissen.
So scheint eine große Mehrheit genug davon zu haben, von Energiekonzernen regelrecht ausgenommen zu werden. Auch Banken und Versicherungen haben ihre Legitimität als private und profitorientierte Unternehmen verspielt - selbst bei CDU und FDP.
Interessant ist ebenfalls, das eine große Mehrheit gegen die Privatisierung der Bahn ist. Ob die Politik hier aufs Volk hört, ist nach allen bisherigen Tricks allerdings zu bezweifeln.

Die FDP-Spitze sollte sich langsam Gedanken machen, ob sie sich nicht eine andere Anhängerschaft sucht, denn wie schon bei der Mehrheit für Mindestlöhne ist von Staatsferne unter ihnen keine Spur!

Branche gesamt CDU/CSU SPD FDP Grüne Linke
Energieversorger 77 73 83 70 84 78
Banken & Versicherungen 64 61 76 58 67 73
Post, Bahn, Fluggesellschaften 60 58 70 46 74 66
Pharma, Chemie 45 39 51 35 54 53
Telekommunikation 40 39 41 38 38 46
Landwirtschaft 40 33 37 25 44 42
Elektroindustrie 35 35 34 26 33 33
Immobilienwirtschaft 31 23 40 28 37 26
Automobilindustrie 26 24 26 23 29 23

Link zur Umfrage:
www.stern.de

Wiederholung von 1930 (Tucholsky)

Folgendes Gedicht hat Kurt Tucholsky 1930 geschrieben und in "Die Weltbühne" veröffentlicht. Es ist hochaktuell und zeigt, daß wir aus vergangenen Fehlern noch nicht gelernt haben!

„Die freie Wirtschaft“

Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.
Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein,
wir wollen freie Wirtschaftler sein!
Fort die Gruppen – sei unser Panier!
Na, ihr nicht.
Aber wir.

Ihr braucht keine Heime für eure Lungen,
keine Renten und keine Versicherungen.
Ihr solltet euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn -
wollt ihr wohl auseinandergehn!
Keine Kartelle in unserm Revier!
Ihr nicht.
Aber wir.

Wir bilden bis in die weiteste Ferne
Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne.
Wir stehen neben den Hochofenflammen
in Interessengemeinschaften fest zusammen.
Wir diktieren die Preise und die Verträge -
kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Gut organisiert sitzen wir hier …
Ihr nicht.
Aber wir.

Was ihr macht, ist Marxismus.
Nieder damit!

Wir erobern die Macht, Schritt für Schritt.
Niemand stört uns. In guter Ruh
sehn Regierungssozialisten zu.
Wir wollen euch einzeln. An die Gewehre!
Das ist die neuste Wirtschaftslehre.
Die Forderung ist noch nicht verkündet,
die ein deutscher Professor uns nicht begründet.
In Betrieben wirken für unsere Idee
die Offiziere der alten Armee,
die Stahlhelmleute, Hitlergarden …

Ihr, in Kellern und in Mansarden,
merkt ihr nicht, was mit euch gespielt wird?
mit wessen Schweiß der Gewinn erzielt wird?
Komme, was da kommen mag.
Es kommt der Tag,
da ruft der Arbeitspionier:

“Ihr nicht.
Aber Wir. Wir. Wir.”

Ursprünglich hatte ich das folgende Gedicht in diesem Artikel, bis mich jemand in einem Kommentar freundlicherweise auf meinen Fehler aufmerksam machte, daß das - wenn auch sehr zutreffende - Gedicht "Wenn die Börsenkurse fallen" - nicht von Tucholsky stammt. Dieses Gedicht habe ich als angebliches Tucholsky-Gedicht auf den Kommentarseiten der "Zeit" gefunden:

"Wenn die Börsenkurse fallen"

Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft´s hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.